Monatsgedanke November

Bibelturm (Foto: Gabriele Weiss)

Pink oder hellblau?
„Die Pinke, die Grüne oder die Hellblaue?“ Jedes Jahr neu wählen die aktuellen Konfirmandinnen und Konfirmanden die Bibel aus, mit der sie im Jahr arbeiten werden.
Welche Übersetzung werden sie in diesem Jahr nehmen? Es hat richtige Wellen gegeben, wofür sich die Gruppen entschieden. Oft nahmen sie die, die gerade am kürzesten auf dem Buchmarkt erschienen war: die Bibel in gerechter Sprache (2006), die rote Zürcher Bibel (2007), die schwarze Lutherbibel (2017)…
Die Bibel mit den vielen Farben, die Basisbibel ist seit 21. Januar 2021 vollständig erhalten. Wer in den Gottesdienst geht, kennt die pinke Bibel, die auch ich oft verwende. Sie ist zur Zeit bei den Jugendlichen hoch im Kurs. Sie nehmen halt gerne das Neuste.

Oft bleiben Menschen, die regelmässig in der Bibel lesen, bei einer Bibelversion, die sie schon lange haben. Sie ist ihnen sprachlich vertraut und ein Zuhause. In bekannter Sprache erkennen wir Verse schneller wieder. Sie sind uns im Ohr.
Erst in der Reformation wurde das Bibellesen für das Volk möglich gemacht. Zum einen dadurch, dass es deutsche Übersetzungen gab: aus der Zürcher Prophezey oder von Martin Luther. Man musste nicht mehr Latein können dafür. Zum anderen entstand auch eine Bildungsbewegung. Vorher war das Lesen ein Privileg der kleinen Oberschicht. Mit der Reformation wurde es nun überhaupt wichtig, dass die Kinder lesen und schreiben lernten. Dorfschulen entstanden, oft unter der Obhut des Pfarrers.
Heute ist das Lesenlernen selbstverständlich. Diese Kulturtechnik „Lesen“ kann fast ins Hintertreffen kommen, weil das Bilderlesen auch so beliebt ist. Neben dem klassischen Fernsehen werben Youtube, Onlinespiele, Emojis, Memes, Instagramm und vieles mehr um unsere Aufmerksamkeit. Das ist vielen angenehmer als Lesen. In der digitalen Welt gibt es natürlich auch Geübtere und Ungeübtere. Selbst auf Fotos entwickelte sich eine neue Bildsprache, was eine Haltung von Händen oder Armen bedeuten sollen. Da benötige ich Nachhilfe bei der jüngeren Generation. Wer Hieroglyphen mag, der kann in der digitalen Welt wieder auf seine Kosten kommen. Ursprünglich entstanden die Buchstaben ja als vereinfachtes Sinnbild für den Anlaut von einem Tier, einem Gegenstand oder einer Pflanze.
Im Seniorenheim stellte sich neulich die Frage, was wir machen können, wenn die Buchstaben immer kleiner werden und das beste Licht nicht mehr helfen kann. Wir wollten gemeinsam einen Pslam lesen. Als sich zeigte, dass es um den Psalm 23 ging, sagte die Bewohnerin erleichtert: „Den kann ich ja auswendig!“
„To learn by heart“ heisst es im Englischen. Können wir heute Texte, die uns wichtig sind, aus dem Kopf? Oder verlassen wir uns auf Buchstaben und Papier oder Gespeichertes in der Cloud?
Der Psalm 23 drückt unvergleichlich ein Grundvertrauen aus, wie Gott uns durchs Leben begleiten kann.
Schön, wenn auch die nächste Generation das in pink, grün oder hellblau für sich entdeckt.

Zeit zum Lesen im November
wünscht Ihnen Ihre
Pfarrerin Gabriele Weiss
Bereitgestellt: 03.11.2022