Bruder Storch - Monatsgedanken Februar 2021
Störche aus Kesswil (Foto: Wolf Dieter Burkhard)
Bruder Storch
Diesen Winter fielen sie mir beim Spazierengehen ins Auge. Sieben oder gar neun Störche staksten auf den Wiesen in Scherzingen. Sind Störche nicht Zugvögel? Müssten die nicht längst in den Süden geflogen sein?
Unser Organist Wolf-Dieter Burkhard erklärte mir: „Bei den Störchen zeichnet sich eine Tendenz ab: Die erwachsenen Störche bleiben mehr und mehr im Land, während die Jungvögel immer noch mehrheitlich nach Spanien oder in die Sahel-Zone ziehen.“
Sie waren also kein Einzelfall. Was finden die „Erwachsenen“ bei uns im Winter? Uns fiel auf, dass sie oft auf Flächen sind, auf denen gerade Gülle ausgetragen wurde, vielleicht fressen sie dann dort Insektenlarven.
Immer noch merkwürdig: Überwinternde Störche. Wird es nicht mehr frostig genug bei uns, dass die Störche mit unseren neuen winterlichen Temperaturen zurechtkommen? Ist das schon eine Folge der Erderwärmung?
„Brot für alle“ hat in diesem Jahr den Klimawandel im Auge. Mit dem Bild eines grillierenden Paares erinnern sie daran, dass nach wie vor Regenwälder abgeholzt werden für Soja und Mais als Futtermittel und damit für den Fleischkonsum der Industrieländer. Manchmal denke ich „Es ist schon alles dazu gesagt. Wir wissen es ja.“ Unser Konsum, unsere Mobilität, versiegelte Flächen, unsere Gartengestaltung- es gibt so viele Bereiche, in denen wir sogar die Wahl haben und die Natur schützen können. An anderen Tagen fasse ich mich selbst an die Nase, weil ich vielleicht den bequemeren oder gewohnteren Weg gegangen bin.
„Selbst der Storch am Himmel kennt seine Zeiten, und Taube und Mauersegler und Schwalbe halten die Zeit ihrer Heimkehr ein, mein Volk aber kennt nicht die Ordnung des Herrn.“ Diese Naturbeobachtung stammt aus dem 6. Jahrhundert vor Christus. Sie steht in Jeremia 8,7. Der Vers beschreibt Regelmässigkeit bei den Vögeln und Unregelmässigkeit bei den Menschen. Dem Propheten Jeremia geht es um Gerechtigkeit. Er berichtet von Lüge und Gewinngier. Er zählt eine ganze Reihe von Bereichen auf, in denen die Menschen mit guten Taten hervortreten sollen. Moralin könnte man sagen. „Ihr rennt anderen Götzen nach, vergesst euren lebendigen Gott und schadet euch selbst.“, wäre seine Antwort. Menschen entscheiden aktiv. „Tut es um eurer selbst willen“, wäre eine Antwort von heute.
Der Storch kennt seine Zeiten, und vielleicht kann er aus Erfahrung lernen. Störche zur Unzeit, im Winter am Bodensee. Möglicherweise passen sie sich gerade an. Ob es für sie gut ist, ist eine andere Frage. Es sind uns noch lange, lange nicht alle Zusammenhänge in der Natur bekannt. Es gibt immer noch vieles zu erforschen. Was wir schon wissen ist, dass unser menschliches Leben ganz eng verknüpft ist mit dem Leben der Tiere und der Pflanzen. Mit Franz von Assisi können wir sie unsere Geschwister nennen. „und mein Volk lebt geschwisterlich“- schön, wenn das ein aktueller Ausruf wäre und beschriebe wie Menschen heute nachhaltig leben. Unsere Geschwister die Störche lernen dazu, warum nicht auch wir?
Ihnen einen erfreulichen Februar
wünscht Ihre Pfarrerin Gabriele Weiss